Christin Siegemund übers Mentoring:
Herzlichen Glückwunsch. Du hast gegründet und/oder bist auf dem Weg dahin. Die gute Nachricht ist: der wichtigste Schritt ist getan. Die schlechte Nachricht: du hast noch richtig viel Arbeit vor dir. Du wirst Fehler machen. Manche werden richtig viel Geld, Nerven und Zeit kosten. Und zum Schluss noch eine gute Nachricht: die allerschlimmsten kannst du vermeiden. Mein Tipp: such dir Hilfe und Unterstützung von Menschen, die es besser wissen. Das geht auf verschiedene Arten: zum Beispiel in Form von eingekaufter Unterstützung oder in Form eines Mentorings. Beides kann euch bei Entscheidungen weiterbringen, denn: du profitierst immer von der Erfahrung anderer Menschen.
Ich selber arbeite seit vielen Jahren mit einer Coachin, die mir häufig den Weg aufzeigt, wenn ich vor lauter Bäumen den Wald nicht mehr sehe. Sie lädt mich regelmäßig zu einem Perspektivwechsel ein – ein Game Changer. Dafür zahle ich und ich kann auch nach knapp 5 Jahren sagen: jeder Cent ist gut investiertes Geld.
Zusätzlich durfte ich ein Jahr lang in den Genuss eines Mentorings kommen. Diese Beziehung war eine sehr vertraute und offene Verbindung, bei der ich viele Fragen stellen konnte und Themen, bei denen ich den neutralen Blick von Außen brauchte, auch beantwortet wurden. Bestimmt hätte ich auch viel mehr von dem Netzwerk meiner Mentorin profitieren können, das stand für mich jedoch nicht im Vordergrund. Aber auch das ist beim Mentoring erlaubt: Kontakte bereitstellen, Türen öffnen. Für unser Accelerator Programm haben wir im letzten Jahr ebenfalls ein Mentoring Programm aufgesetzt – von der die einen mehr, die anderen weniger profitiert haben. Denn gerade beim Mentoring gilt: du bekommst, was du gibst. Im besten Fall gehen beide Seiten mit Erfolgen aus dem Mentoring: das kann von Erreichen von Milestones, über einen erfolgreichen Kontakt bis zu einem Aha-Moment alles sein.
Um etwas Licht ins Dunkel zu bringen, haben wir zwei der Mentor*innen, Gabriele Mühlen von DELAFOOD und René Fehrmann, Freelancer, befragt.
Gabriele Mühlen, das Wichtigste kurz über dich.
Management-, Medien- und Kommunikationsprofi durch und durch: Als studierte studierte Geistes- und Wirtschaftswissenschaftlerin und langjährige Führungskraft und Editor-in-Chief in großen Medienunternehmen wie Bauer und Burda bin ich Expertin in Markenentwicklung, Marketing, Content und Storytelling. 2021 habe ich gleich zwei Unternehmen gegründet: meine Beratung GMC – Gabriele Mühlen Consult, mit der ich Unternehmen aus unterschiedlichen Branchen in den Bereichen Strategie, Entwicklung, Digitalisierung und Marketing unterstützt. Meine Food-Leidenschaft entfaltet ich als geschäftsführende Gesellschafterin der DELAFOOD GmbH, einer Agentur für Markenführung, Food-Publishing und -Kommunikation. Außerdem bin ich begeisterte Netzwerkerin und freue mich als Beirätin Christin und das foodlab sein Anbeginn zu unterstützen. Außerdem war ich Mentorin im Accelerator-Batch Nr. 3 für das Startup Ve’Chic.
Deine Meinung, warum ist Mentoring so wichtig?
Ob Mentees Studierende, Nachwuchsführungskräfte, Gründer*innen oder Unternehmer*innen sind, von der Erfahrung einer Mentorin oder eines Mentors können sie sehr gut profitieren. Im Unterschied zum Coaching geben Mentor*innen Erfahrungen aus ihrer eigenen Karriere, ihrem Unternehmen oder eigenen Gründungen weiter, sind damit sehr nah am Mentee. Zudem ist es ein Austausch: Die Mentor*innen lernen im Gegenzug, Dinge aus dem Blickwinkel der Mentees zu sehen, generieren selbst neue Inspirationen. Die Beziehung zwischen beiden Parteien ist idealerweise eng, langfristig und entwicklungsorientiert, zudem bestehen keine Abhängigkeiten. Damit ziehen Mentees einen unmittelbaren Nutzen aus Know-how und Netzwerk der Mentor*innen und pushen so ihre Karriere oder ihr Startup. Gerade jetzt in Zeiten der multiplen Krisen – Krieg, Inflation, Klima – ist es gut, jemand erfahrenes an der Seite zu haben.
Was bedeutet Mentee und Mentor*in sein?
Mentees bekommen Unterstützung, entwickeln ihre beruflichen Ziele weiter, können mithilfe des Mentorings Probleme schneller und besser lösen und Ideen vorantreiben – das bedeutet auch, dass Mentees offen für Erfahrungen, Kritik und Förderung der Mentor*innen sein müssen und ihre Entscheidungen eigenverantwortlich treffen. Vertrauen und Offenheit auf beiden Seiten ist hierfür sicher die wichtigste Voraussetzung. Mentor*innen bleiben nicht nur am Puls der Zeit, es gibt auch ein gutes Gefühl Erfahrungen weiterzugeben und Kontakte mit Mentees zu teilen, die großes Potenzial haben. So steigert das Mentoring auch das Selbstvertrauen und die Eigenreflexion der Mentees, eine wichtige Basis für Führungspositionen und den Aufbau eines eigenen Unternehmens.
Was erwartest du von einem Mentoring (beide Seiten)?
Mentees suchen Unterstützung, sie sollten Ideen für ihre Weiterentwicklung haben, eigenverantwortlich, kreativ und engagiert sein. Zudem sollten sich Mentees bewusst sein, dass der Entwicklungserfolg von ihnen abhängt, es also zu ihren Hauptaufgaben gehört, das Mentoringprogramm aktiv zu gestalten und zu nutzen. Mentees sollten Fragen stellen, sich über positive wie negative Erfahrungen austauschen, bereit sein, sich selbst zu reflektieren und den ein oder anderen Ratschlag auch annehmen und umsetzen. Mentor*innen sollten offen sein, zuhören können und den Mentee unterstützen, ihm Wertschätzung und Selbstvertrauen vermitteln, ihn motivieren, gerade in schwierigen Phasen. Dazu ist eine offene Gesprächskultur notwendig, dann können Mentor*in und Mentee gemeinsam geeignete Lösungen finden.
Welche Themen möchtest du vorantreiben?
Ich freue mich, wenn ich Erfahrungen weitergeben kann und auch von Mentees lerne. In der Beratung sehe ich oft, dass Innovationen und Transformation geblockt werden, da Sicherheit an erster Stelle steht und man eher dazu tendiert, mehr vom Gleichen zu machen, im Bereich Produkt etwa oder auch bei der Stellenbesetzung. Deshalb ist es mir besonders wichtig von vornherein Themen wie Unternehmenskultur, Gleichberechtigung und Diversität anzusprechen. Die Vielfalt an Sichtweisen, Erfahrungen, Wissen und Kompetenzen fördert die Kreativität und damit auch Innovation und Unternehmensentwicklung. Mir persönlich liegen auch Tier- und Umweltschutz sehr am Herzen, hierzu sollten Mentees eine Haltung haben. Da Klimaneutralität eines der wichtigsten Zukunftsthemen ist, müssen z.B. Startups sich auch mit diesem Thema auseinandersetzen.
Welche Programme überzeugen dich oder kannst du empfehlen?
Es gibt sehr viele unterschiedliche Formen von Mentoring und zahlreiche Programme, von Programmen für Studierende bis zu firmeninternen Initiativen für Nachwuchsführungskräfte. Oder auch innerhalb des Startup-Accelerator-Programm des foodlabs, das ich durchaus empfehlen kann, da es begleitet wird und man ein großes Netzwerk nutzen kann.
Gute Mentor*innen findet man im privaten wie beruflichen Kontext. Grundsätzlich gibt es einige Faktoren, die zum Erfolg des Mentorings beitragen und nach denen man entscheiden sollte, ob es passt:
1. Mentor*in und Mentee sollten passen – im eigenen Unternehmen ist das zum Beispiel oft schwierig, da Eigeninteressen seitens der Mentor*innen bestehen.
2. Es sollten klare Ziele definiert werden und von vornherein klar sein, was Mentees erwarten und was Mentor*innen leisten können.
3. Mentees haben den Handlungsauftrag, sprich, sie müssen die treibende Kraft sein und die Initiative ergreifen.
4. Die Verantwortung ist klar definiert, Mentor*innen beraten, Mentees treffen die Entscheidungen. Passt alles, dann klappt‘s auch mit dem Mentoring.
René Fehrmann, das Wichtigste kurz über dich.
Mein Name ist René Fehrmann, ich lebe mit meiner Familie im Hamburger Schanzenviertel und bin Papa von zwei Kindern. Ich bin tätig als Dozent, Designer, Mentor, Gründer und arbeite derzeit im Mix, d.h. in Teilzeit-Festanstellung und synchron als Freelancer. In der ehemaligen DDR aufgewachsen, schaue ich heute etwas dezidierter auf unser aller Möglichkeiten etwas zum Positiven zu verändern. Ich habe mein Hobby zum Beruf gemacht und sammle Erfahrungen sowie Gespräche. Als Mentor für das Startup Oloa war ich im Batch Nr. 3 unterstützend als Mentor tätig.
Deine Meinung, warum ist Mentoring so wichtig?
Getreu dem Zitat von Éric-Emmanuel Schmitt, „Das, was du gibst, gehört für immer dir. Das, was du behältst, ist für immer verloren.“, möchte ich über das Weitergeben an Erfahrungen meinen Mitmenschen helfen, wirksam(er) zu werden, im gemeinsamen Vorhaben unsere Welt für unsere Nachkommen und uns selbst etwas schöner zu gestalten. Miteinander und an uns selbst arbeiten, im aktiven Austausch über Kulturen und auch Generationen hinweg, lässt uns Gesellschaft erst richtig begreifen und leben.
Was bedeutet Mentee und Mentor*in sein?
Unsere Kultur findet zwischen den Menschen statt. Demnach ist die Beziehung zwischen Mentee und Mentor*in ein (Denk)Raum, in dem Ideen fließen und sich etwas entwickeln und weiterentwickeln kann. Als Mentor schaue ich von weiter oben bzw. weiter weg auf die Idee der/des Mentee. Ich bin also nicht so dicht dran, faktisch und emotional. Und kann deshalb eine andere und hilfreiche Reflexion geben, strukturieren und priorisieren helfen. Das gepaart mit Erfahrungen aus dem Job, den bisherigen Projekten, dem (oft länger gelebten) Leben und auch mit Kreativität, kann dabei helfen Vorhandenes zu stärken, auf Fähigkeiten aufmerksam zu machen, neue Themen disruptiv einzubringen, störende Dinge aus dem Weg zu räumen und den Fokus zu halten.
Was erwartest du von einem Mentoring (beide Seiten)?
Bestmöglich einigen sich Mentee und Mentor*innen für ein erfolgreiches Mentoring auf folgende Rahmenbedingungen: Transparenz und Ehrlichkeit, Reden lassen und aktiv zuhören können, Hilfe ungefragt anbieten und Hilfe annehmen können, vermitteln und lernen können, durch Inspiration intrinsische Motivation pushen können, Fehler machen und Fehler eingestehen können, Mut machen und Mut aufbringen können, Perspektive/n wechseln können, Meinungen ändern können, auch mal Ego ausmachen können und das Projektvorhaben in den Vordergrund stellen sowie Liebe zum Detail, zum Leben und viel Spaß an der Sache.
Welche Themen möchtest du vorantreiben?
Wenn ich mich auf ein Thema fokussieren müsste, dann wäre das die Bildung. Es birgt so viel für mich, wenn nicht alles. Ein Spannungsbogen aus dem weisen Sprichwort “um ein Kind zu erziehen braucht es ein ganzes Dorf“ und dem Hashtag Lifelong Learning. Ich selbst habe erst im zweiten Bildungsweg meiner wirklichen Berufung nachgehen dürfen und bin aktuell dabei zu bemerken, dass auch das wieder im Flow ist. In der Bildung steckt das Wort Bild, eines was man sich von sich selbst und von der Welt macht. Und jenes betrachtet man am besten nicht nur allein, sondern gemeinsam, da einem erst das weitere Facetten bescheren wird. Als Dozent durfte ich mich zuerst “lehrend“ ausprobieren, habe Kurse entwickelt und auf verschiedene UNIs übertragen dürfen. Dort also die Studierenden, dann die Mitarbeiter und zu Hause fordern und fördern mich die eigenen Kinder. Von letzteren inspiriert bin ich aktives Mitglied einer Montessori-Schulgründungsinitiative und sehe mich zudem auch als Botschafter für brandaktuelle Bildungsthemen, wie sie unter anderem die Hacker School bietet, um von extern das etwas verstaubte Bildungssystem zu flankieren.
Welche Programme überzeugen dich oder kannst du empfehlen?
Mein Mentoren-Bäumchen erfuhr in den unterschiedlichen Hackathons, an denen ich in den letzten zwei Jahren teilnahm, einen echten Wachstumsschub. In den gesteckten meist nur 48 Stunden als Mentor*in dabei zu helfen, ein Team zu formen, die Idee zu entwickeln, um diese dann erfolgreich pitchen zu können, ist ein herausforderndes Training, bei dem es immer wieder viel zu lernen gibt. Das kann ich auf jeden Fall empfehlen. Sämtliche dieser Hackathons folgten den SDGs und daraus ergeben sich wiederum verschiedene Felder, in denen man sich weiter als Mentor*in einbringen kann. Und sollte. Angefangen bei Armut, Bildung, Ernährung bis hin zu Klima und einiges mehr. Deshalb bin ich nicht nur bei MentorMe Germany, sondern möchte mich auch bei reflecta.network engagieren, um Menschen und Projekte bei gesellschaftlichen und eigenen Herausforderungen zu unterstützen und voranzubringen. Letzteres ist eine lebendige Community, ein Online-Netzwerk & Matchmaking-Plattform für #Zukunftsgestalter:innen, welche gerade in stark Corona-geprägten Zeiten Mentee und Mentor*inne verbinden konnte.